Heavy Duty, das zu(m) HIT wurde: Wie würde wohl Mike Mentzer das neue Buch von Jürgen Gießing beurteilen, und was zeigen die Bücher im Vergleich?
Erinnerung an längst vergangene Zeiten
Die Anfrage von Klaus Arndt, dem Inhaber des Novagenics-Verlages1, ob ich eine Vorstellung des Buches „HIT neu & verbessert“2 von Jürgen Gießing3 würde schreiben wollen, hat mich sofort an meine Begegnung mit Mike Mentzers Buch vor mehreren Jahrzehnten erinnert. Denn damals kam ich erstmals bewusst mit dem Thema HIT (High Intensity Training) in Berührung, und dieses Konzept sollte mich fortan über die kommenden Jahrzehnte ständig begleiten. Und zwar hauptsächlich deshalb, weil es mir schon damals logisch erschien.
Jetzt frage ich mich: Was hätte wohl Mike Mentzer als „Erfinder“ des HIT zum neuen Buch von Jürgen Gießing gesagt? Und wo finde ich Unterschiede, wenn ich Alt mit Neu vergleiche?
Aber der Reihe nach. Es begann, als noch kein Mensch „HIT“ kannte – zumindest nicht jenseits der Hitparade.
Mal was ganz Neues?
Mike Mentzer war mir von Anfang an sympathisch. Und es lag wohl nicht nur daran, dass wir den selben Vornamen hatten, sondern: Er formulierte schon Ende der Siebziger-Jahre ein Verständnis von Bodybuilding, das mir auf Anhieb gefiel. Denn als angehender Ingenieur an einer technischen Schule war mir Logik immer besonders wichtig gewesen. Was man verstehen kann, merkt man sich auch. Und dann kann man damit arbeiten und es zielgerichtet anwenden.
Also: Mike lieferte mir in seinem Buch „Heavy Duty – Eine logische Einstellung zum Muskelaufbau“ 4 eine solide Grundlage dafür, wie ich Training von nun an sehen würde: Nicht komplett, aber doch schon sehr anders als zuvor. Vieles (oder eigentlich so gut wie alles) in diesem knapp gehaltenen Büchlein erschien mir völlig klar und nachvollziehbar. Und die Jahrzehnte danach sollten viele meiner dadurch geprägten Annahmen über Training noch bestätigen. Wie formulierte es Mentzer im Kapitel „Bodybuilding aus neuer Sicht“ so schön: „Ich war der Auffassung, daß meine Auffassungen vor allem dann überzeugen würden, wenn sie plausibel sind, und in logischer Folge so dargelegt werden, daß sie den Intellekt und den gesunden Menschenverstand ansprechen.“
Mich jedenfalls hatte er mit diesem Ansatz bereits am Haken.
Heavy Duty als revolutionärer Ansatz
Mike nannte sein System „Heavy Duty“. Aber worum ging es dabei? Ganz grob zusammengefasst vertrat Mentzer die Ansicht, dass man Muskelaufbau am besten anregen würde, wenn man nicht zu viel trainiert. Konkreter: Dass man die Trainings-Einheiten eher kurz hält. Allerdings – und hier liegt der Hase im Pfeffer: Die Übungen müssen mit hoher Intensität durchgeführt werden. Mit anderen Worten: Bis zum Muskelversagen – und mit Hilfe spezieller Intensitäts-Techniken fallweise auch darüber hinaus. Mentzers persönliche Überzeugung: Ein hohes Trainings-Volumen (mit vielen Sätzen je Übung und teils stundenlangen Trainings-Einheiten) sei weniger zielführend. Und mit dieser Aussage stellte er sich ganz klar gegen den Mainstream der damaligen Bodybuilder-Elite – Arnold Schwarzenegger eingeschlossen.
Nicht nur, dass ein solch hochintensives Training extrem fordernd und wahrlich kein Honiglecken ist – es besteht bei mangelhafter Technik auch eine erhöhte Gefahr von Verletzungen. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele angehende sportliche Erfolgsgeschichten vor der Zeit abrupt beendet wurden, weil ein zu großes Ego im falschen Moment die falsche Entscheidung getroffen hat.
Was genau fordert Heavy Duty?
Das ist schnell gesagt: Trainierst du einen Satz einer Übung, dann mache so viele Wiederholungen in sauberer Technik, bis du keine mehr schaffst. Bis du WIRKLICH keine mehr schaffst. An diesen Punkt des momentanen Muskelversagens zu gehen, ist jedoch alles andere als lustvoll.
Aber jetzt kommt der brutale Teil für Trainings-Junkies: Nach dieser harten Beanspruchung lass den trainierten Muskel in Ruhe. Keine weiteren Sätze, und kein verfrühtes nächstes Training vor der kompletten Regenerations- und Aufbau-Phase. Denn der Muskelaufbau benötigt Energie, die dem Muskel nicht durch ein verfrühtes nächstes Training entzogen werden soll.
Unter uns: Klingt doch irgendwie einleuchtend, oder?
Die logische Konsequenz: Regeneration im Mittelpunkt
Wenn man also genau hinsieht, wird schnell klar: Für Mentzer steht die Regeneration nach den notwendigerweise harten Trainings-Einheiten im Mittelpunkt. Und das ist auch sinnvoll, weil erst nach der Wiederherstellung der geforderten Muskeln ein tatsächlicher Mehr-Aufbau von Energie und Strukturen erfolgt. Damals, in den Achtzigern, hatte ich noch keine Ahnung davon, dass ich mich Jahrzehnte später mit dem regenerationsbasierten Aufbautraining beschäftigen würde. Aber aus heutiger Sicht stelle ich fest: Es war vorgezeichnet, dass ich den Weg zu dieser Trainings-Philosophie und dem Online-Tool myTRS gehen musste.
Mentzer sagt auf Seite 17: „Nach dem Intensivtraining braucht man bis zu 48 Stunden Ruhe, ehe das Muskelwachstum einsetzt.“ Wohlgemerkt: Ehe das Wachstum BEGINNT, und nicht, ehe es abgeschlossen ist. Denn die Phase des Wachstums erfolgt im Wesentlichen erst NACH der erfolgten Reparatur der im Training entstandenen Mini-Verletzungen, der sogenannten Mikro-Traumata.
Also: Man soll (muss?) Regeneration und Wachstum ohne Störung durch ein neuerliches Training abwarten. Aber diese Aussage ist natürlich ein totales Desaster für jeden durchschnittlichen Trainings-Süchtigen – bedeutet es doch, dass man jeden Körperteil nicht ohne weiters mehrmals pro Woche traktieren kann. Schlechte Nachrichten für jene, die ihre Lieblings-Körperteile am liebsten täglich trainieren würden.
Allerdings: Das wäre sowieso eine ganz schlechte Idee.
Jahrzehnte später: Heavy Duty reloaded?
Ganz klar: Als Gießing sein Buch verfasst, kann er aus ungleich mehr wissenschaftlichen Arbeiten schöpfen als seinerzeit Mentzer. Und noch dazu ist der Mann vom Fach: Seine tägliche Arbeit in Bereich der universitären Sportwissenschaft bringt ihn immer wieder mit relevanten Studien in Berührung. Man sieht das auch sofort am Quellen-Nachweis im Anhang von „HIT neu & verbessert“: Mehr als 200 Einträge sind dort zu finden. Anmerkung am Rande: Darunter finden sich auch einschlägige Fachzeitschriften, was beim nicht-akademischen Leser eine gewisse Sympathie durch Wiedererkennung wecken dürfte.
Der Aufbau von Gießings Buch folgt einer klaren Struktur: Nach ausführlichen Betrachtungen der Geschichte des HIT beleuchtet der Autor das Konzept aus unterschiedlichen sportwissenschaftlichen Blickwinkeln. Dabei werden viele wesentliche Begrifflichkeiten ins Spiel gebracht und definiert, die letzten Endes in den Abschnitt mit der Vorstellung unterschiedlicher HIT-Programme führen.
Würde man eine knappe Charakterisierung suchen, was HIT eigentlich ausmacht, wird man unter „Das HIT im Spiegel der Sportwissenschaft“ auf Seite 141 fündig: „Üblicherweise wird beim HIT nur ein Satz pro Übung, dieser aber bis zur lokalen Muskelerschöpfung ausgeführt. Weitere Merkmale des HIT sind die betont langsame und technisch vorbildliche Ausführung der Übungen sowie ausreichende Regenerationszeiten zwischen den Trainingseinheiten.“
Genau auf den Punkt – dem ist wohl nichts hinzuzufügen. Und es klingt sehr nach Heavy Duty. Einfach nur Mentzer, reloaded? Oder doch vielmehr die Perfektionierung früherer Ansätze auf der belastbaren Grundlage wissenschaftlicher Forschungen?
Leider habe ich Mike Mentzer niemals kennengelernt. Aber ich kann mir auf Basis seiner Darlegungen in Heavy Duty gut vorstellen, dass er über Gießings Buch sehr erfreut gewesen wäre. Darüber, dass viele seiner Überlegungen den Weg in die ernstzunehmende wissenschaftliche Forschung gefunden haben. Darüber, dass sein unkonventioneller Ansatz über die Zeit eindeutig an Bekanntheit und Popularität gewinnen konnte. Und darüber, dass HIT-Anhänger eine wichtige Muskelgruppe nutzen, die manchmal bisweilen immer noch vernachlässigt wird: ihren Kopf.
Warum „Teil 1“?
So viel kann ich schon sagen: Das Buch ist mir sympathisch. Klare und verständliche Sprache, sauber formulierte Erklärungen, interessante Einblicke in Geschichtliches. Und trotz aller fachlichen Tiefe: So geschrieben, dass man gerne weiterlesen möchte.
Und genau das werde ich tun. Der heutige Beitrag kratzt ganz bewusst nur an der Oberfläche – weitere Beiträge sind also abzusehen: In unregelmäßigen Abständen werde ich hier über jene Erkenntnisse berichten, die mir im Zusammenhang mit dem myTRS-Blog und dem regenerationsbasierten Aufbautraining relevant zu sein scheinen. Mein Eindruck: Es gibt eine ganze Reihe an Überschneidungen. Da könnte also noch einiges kommen …
Quellverweise
- [1] Der Novagenics-Verlag aus Arnsberg besteht seit 1988 und definiert sich als Verlag für Sportfachliteratur. Die dort erscheinenden Titel befassen sich mit Training und Ernährung im Themen-Spektrum von Bodybuilding und Kraftsport. Ein zentraler Anspruch des Verlages besteht in der Aufbereitung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse für die unmittelbare Anwendung durch den Trainierenden. Im Internet: www.novagenics.com
- [2] Jürgen Gießing: „HIT neu & verbessert. Mit hochintensivem Training weniger Zeit investieren und schneller Muskeln aufbauen“, Novagenics-Verlag Arnsberg, 6. Auflage 2020
- [3] Der Autor, Prof. Dr. Dr. Jürgen Gießing, ist geschäftsführender Leiter des Instituts für Sportwissenschaft an der Universität Koblenz-Landau. Er publiziert seit etwa 20 Jahren Bücher im Themenfeld Bodybuilding und Muskelaufbau und fokussiert sich in vielen Titeln auf HIT (High Intensity Training).
- [4] Mike Mentzer: „Heavy Duty. Eine logische Einstellung zum Muskelaufbau“, ABM Fitness- und Kraftsport-Verlag München, 1979