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Wiederholungszahlen und Regeneration, Teil 2

Gibt es Empfehlungen, mit welchen Wiederholungszahlen innerhalb der Sätze einer Übung man trainieren sollte, um Regeneration zu fördern? Was bewirken wenige, hochintensive Wiederholungen, und was hingegen viele Wiederholungen mit niedriger Intensität? Die Antwort sei hier bereits vorweggenommen: Es geht darum, beides auf sinnvolle Weise miteinander zu kombinieren.

Fortsetzung des Beitrages vom 12. März 2020.

Einleitende Anmerkungen (Wiederholung von Teil 1)

Da ich ja doch schon zu den älteren Semestern gehöre – die Nennung meines Geburts-Jahres 1965 könnte manchen jüngeren Leser zum sofortigen Abbruch verleiten – bin ich in der Kategorie der Wissens-Themen eher für historische Betrachtungen zuständig. Das bringt zwangsweise andere Quellen-Angaben mit sich als bei den Beiträgen meiner Tochter Julia, die ja aktuell mit ihrer Diplomarbeit zum Fitness-Trainer befasst ist.

Trotz des Alters mancher Quellen handelt es sich allerdings oft um relativ zeitlose Erkenntnisse, die auch Jahrzehnte nach ihrer Publikation von ganz konkretem Wert sein können. Diesmal: Die Überlegungen zu Wiederholungszahlen von Dr. Michael Yessis aus dem Jahr 1985, dem Jahr meiner Zeit beim Österreichischen Bundesheer. Bitte diesen Umstand auch beachten, wenn es um die damalige Rechtschreibung in den Zitaten geht.

Zusammenfassung von Teil 1

Teil 1 dieses Beitrages basiert auf einem früheren Artikel von Michael Yessis aus dem Jahr 1984 und betont die folgenden Gedanken:

  • Das Blut spielt eine zentrale Rolle, wenn es um die Versorgung mit Nährstoffen und um die Entsorgung von Abfallstoffen in den Muskeln geht. Beides ist ständig erforderlich, besonders aber dann, wenn der Muskel durch Training hohen Belastungen ausgesetzt wird und Kraft oder Masse aufbauen soll.
  • Aus diesem Grund ist eine gute Kapillarisierung der Muskeln (erhöhte Anzahl feinster Blutgefäße) von Vorteil.
  • Training mit hohen Wiederholungszahlen fördert eine solche Kapillarisierung.

Wie Muskeln groß werden

Ein Fachartikel mit eben dieser Headline erschien in der deutschen Sport Revue vom April des Jahres 1985. Für diejenigen, die sich an diese Zeit nicht mehr erinnern können (oder damals noch gar nicht geboren waren): Die Sport Revue wurde von Albert Busek herausgegeben und war ein übersetzter Ableger der amerikanischen Muscle & Fitness, und Texte und Bilder waren häufig deckungsgleich. Der angesprochene Autor, Dr. Michael Yessis, hat seinen Artikel selbstverständlich in der amerikanischen M&F publiziert, aber mir steht leider nur die deutsche Version zur Verfügung.

Hohe Wiederholungszahlen? Wozu denn eigentlich?

Viele Bodybuilder und Kraftsportler sind skeptisch, wenn es um Training mit leichteren Gewichten und höheren Wiederholungszahlen geht: Sprüche wie „nur schwer macht schwer” mögen in mancherlei Hinsicht etwas Wahres haben, lassen andererseits aber auch den Athleten schon gedanklich vor alternativen Zugängen mit niedrigeren Belastungen zurückschrecken. Dadurch entsteht eine Sperre im Kopf, wodurch man eine Reihe sinnvoller Maßnahmen erst gar nicht in Betracht zieht.

Dr. Michael Yessis bringt in seinem Artikel aus dem Jahr 1985 die Sache sehr schön auf den Punkt:

Schnellere und gründlichere Regeneration erlaubt Ihnen mehr Training (und mehr Hochintensitätstraining), was wiederum rasches und effektives Muskelwachstum bewirkt. […] Sie werden feststellen, daß sich unter entsprechenden Voraussetzungen Ihre Fortschritte hinsichtlich Kraft und Muskelmasse wieder mit dem Einsatz decken, den Sie in Ihr Training legen.

Fachzeitschrift-Artikel von Dr. Michael Yessis: Wie Muskeln groß werden – Das Blut ist ausschlaggebend, in Sport Revue 4/1985, S. 66

Alles in allem sind das doch durchaus motivierende Perspektiven, oder?

Feinste Blutgefäße als Vorteil

Yessis stellt klar, dass eine hohe Anzahl von Kapillaren (feinste Blutgefäße zur Versorgung der Muskelfasern) einige klare Vorteile mit sich bringt:

  • Die Reparatur von Schäden, die durch hartes Training in den Muskeln entstehen, erfolgt rascher.
  • Dadurch beschleunigen die Kapillaren die notwendige Regeneration (Reparatur und Wiederherstelung der beschädigten Muskel-Strukturen).
  • Somit kann der nächste Trainings-Reiz früher gesetzt werden.

Wie lange deine Regeneration auch dauern mag: Mit einer verbesserten Kapillarisierung wird die dafür benötigte Zeitspanne mit großer Wahrscheinlichkeit kürzer. Und das erlaubt dir, Trainings-Reize öfter zu setzen, ohne damit den Muskel zu überfodern oder generell in einen Zustand des Übertrainings zu geraten.

Hinweis: In myTRS wurde für fortgeschrittene Benutzer bereits die Möglichkeit geschaffen, die berechnete individuelle Regenerations-Dauer für jede einzelne Muskel-Partie in einem gewissen Rahmen zu verkürzen oder zu verlängern. Zu finden sind diese Einstellungen unter „Benutzer / Meine Daten” durch Klicken/Tippen des Buttons „Meine individuelle Regeneration”.

Die Vermeidung von Verletzungen

Letztendlich geht es aber nicht nur um die Reparatur der Mikrotraumata, dieser kleinsten Verletzung der Muskeln durch hartes Training, sondern ebenso darum, größere Verletzungen von Sehnen, Bändern und Bindegewebe zu vermeiden. Diese Strukturen sind wesentlich schlechter mit Kapillaren versorgt und benötigen daher für ihre Wiederherstellung nach Beschädigung länger als die Muskeln selbst. Längerfristig führt das zu einem heiklen Zustand: Die Muskeln können immer mehr Kraft entwickeln, aber die Sehnen werden nicht im selben Ausmaß stärker – und somit zur Schwachstelle.

Yessis rät also zur aktiven Stärkung dieser Strukturen:

Die zusätzliche Durchblutung fördert den Austausch von Substanzen, die wiederum das Wachstum und die Kräftigung von Bändern, Sehnen und Bindegewebe fördern.

Dr. Michael Yessis, Quelle wie oben

Der dazu passende Spruch: Eine Kette ist eben nur so stark wie ihr schwächstes Glied.

Hohe Wiederholungszahlen als Vorbereitung für hohe Intensität

Yessis lässt keinen Zweifel aufkommen, wenn es darum geht, was aus seiner Sicht zuerst und was danach kommen sollte: An erster Stelle steht für ihn ganz klar der Aufbau von Kreislauf und stützenden Strukturen, wie Sehnen und Bändern. Erst im nächsten Schritt sieht er schweres Training, das auf Zunahme der Muskelmasse abzielt.

Es wäre ein schwerwiegender Fehler, mit Hochintensitätstraining zu beginnen, in der Annahme, der Körper werde sich schon an die Belastungen gewöhnen.

Dr. Michael Yessis, Quelle wie oben

So weit, so gut. Aber wie lange sollte man sich einer solchen Vorbereitung widmen? Yessis dazu:

Bei guter Kondition sollte man hohe Wiederholungszahlen einen Monat lang in sein Training einbeziehen, bei schwacher Kondition zwei Monate.

Dr. Michael Yessis, Quelle wie oben

Diese Richtwerte könnten als Anregung für die Planung des nächsten Trainings-Jahres verwendet werden.

Hohe Wiederholungszahlen zum Aufwärmen: Art und Anzahl

Allerdings kann man „Vorbereitung” auch im Sinne eines unmittelbaren Vorbereitens vor der Ausführung schwerer Wiederholungen verstehen, und zwar als Aufwärmen. Das könnte laut Yessis folgendermaßen aussehen:

Verwenden Sie hohe Wiederholungszahlen entweder zum allgemeinen Aufwärmen vor Beginn Ihres eigentlichen Trainings oder zum speziellen Aufwärmen vor jeder der drei oder vier Schlüsselbewegungen Ihres Trainings.

Dr. Michael Yessis, Quelle wie oben

Allgemeines Aufwärmen wäre also die Nutzung hoher Wiederholungszahlen zu Beginn des Workouts:

Das allgemeine Aufwärmen mit hohen Wiederholungszahlen sollte drei oder vier Ihrer Hauptübungen einschießen (z.B. Kniebeugen, Bankdrücken, Kreuzheben), und zwar in je ein bis zwei Sätzen von jeweils 50–75 Wiederholungen.

Dr. Michael Yessis, Quelle wie oben

Die andere Form, das spezielle Aufwärmen, könnte folgendermaßen in das Workout integriert werden:

Spezielles Aufwärmen sollte aus einem oder zwei Sätzen von je 35–40 Wiederholungenbestehen und sollte kurz vor Beginn der jeweiligen Hauptübung erfolgen.

Dr. Michael Yessis, Quelle wie oben

Abschließende Denkanstöße

Die folgenden Fragen, die sich mit der Thematik der hohen Wiederholungszahlen befassen, könnten als Anregung für die Konzeption deines eigenen Trainings herangezogen werden:

  • Wie plausibel erscheinen dir die beschriebenen Zusammenhänge? Glaubst du, dass du vom Einsatz hoher Wiederholungszahlen profitieren könntest?
  • Wäre in deinem Trainings-Jahresplan Platz (ein bis zwei Monate) für einen ernsthaften Versuch mit diesem Ansatz?
  • Wäre ein gezielter Einsatz des Trainings mit hohen Wiederholungszahlen als Aufwärmen (allgemein oder spezifisch) im Zuge deines Workouts sinnvoll?

Überdenke die Ausführungen der beiden Teile dieses Artikels und bilde dir deine eigene Meinung. Und finde heraus, ob bzw. wie das Training mit hohen Wiederholungszahlen dein Training bereichern und dir Vorteile für dein Aufbautraining bringen kann!

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